Tiere verständigen sich effizient, Menschen streiten sich kompliziert - „Wissenschaft im Rathaus“ zu Gast in Goslar

Clausthal-Zellerfeld/Goslar. Wie lösen Pflanzen und Tiere zusammen Probleme? Können Menschen von dieser Kooperation lernen? Der Chemiker PD Dr. Andreas Schmidt und der Volkswirtschaftsprofessor Dr. Mathias Erlei beleuchteten den Hintergrund dieser Fragen am 22. Februar im Goslarer Rathaus mit Vorträgen zur „Kommunikation zwischen Pflanzen und einfachem tierischen Leben“ (Schmidt) und „Konflikt und Kooperation in der Gesellschaft“ (Erlei). Anlass war die Veranstaltung „Konflikt und Kooperation“ aus der Reihe „Wissenschaft im Rathaus“ der Technischen Universität Clausthal.

Wenn die farbenfrohe Meeresschnecke „Glossodoris quadricolor“ nach ihrer Lieblingsspeise sucht, hätte sie allen Grund, sich Sorgen zu machen: Weich, nackt und langsam lebt sie auf dem Meeresboden, scheinbar eine leichte Beute. Tatsächlich aber machen alle Tiere einen großen Bogen um den kleinen Weichling. Denn in grellem Rot, Blau und Weiß signalisiert sie ihnen: Vorsicht, giftig! Diejenigen, die das Signal nicht verstehen, machen Bekanntschaft mit dem Gift Latrunculin und werden sie kein zweites Mal angreifen.



Chemie verringert Konflikte



„Tiere und Pflanzen überstehen manchen Konflikt, indem sie sich mit chemischen Substanzen verteidigen, die giftig für ihre Feinde wirken“, berichtete der Chemiker PD Dr. Andreas Schmidt von der TU Clausthal einem gebannt lauschenden Publikum im Goslarer Rathaus.

Doch nicht nur die Abwehr, sondern auch die Zusammenarbeit in Symbiosen werde durch ein kompliziertes Wechselspiel von Molekülen dieser Substanzen ermöglicht: So produziert die bunte Meeresschnecke ihr Gift nicht selbst, sondern erhält die Substanz, die eine starke Fluchtreaktion bei Fischen auslöst, von dem roten Schwamm „Latrunculia magnifica“.

Die Schnecke reinigt die Oberfläche des Schwammes von Algenbewuchs und Schädlingen, der Schwamm wiederum bezahlt dadurch, dass er der Schnecke auch als Nahrung dient. Voraussetzung für dieses Miteinander ist eine ?Kommunikation' zwischen Schnecke und Schwamm.



„Organische Chemie liefert die molekularen Vokabeln, mit denen sich Tiere und Pflanzen verständigen können“, so Schmidt. Einblicke in dieses faszinierende Geschehen wecke nicht nur Naturbegeisterung auf molekularer Ebene, sondern liefere einen immensen Ideenreichtum für die Entwicklung neuer Wirk- und Werkstoffe im Rahmen moderner Naturwissenschaften, folgerte der Clausthaler Chemiker.



Wettbewerb und Gerechtigkeit



Konflikte zwischen Menschen sind allgegenwärtig, wie der Volkswirtschaftsprofessor Dr. Mathias Erlei in seinem anschließenden Vortrag erklärte. Besondere Aufmerksamkeit lenkte er auf die so genannten Verteilungs- und Anreizkonflikte.

In Verteilungskonflikten werde darüber gestritten, wer wie viel von etwas bekommt. Das so genannte 'Ultimatumspiel' illustriere diese Art des Konflikts: Zwei Personen müssen nach festgelegten Regeln um die Aufteilung eines Kuchens streiten, den sie allerdings komplett verlieren, wenn sie sich nicht einigen können. In diesem ökonomischen Laborexperiment zeigt sich, dass Teilnehmer mit einem Bedürfnis nach einer gerechten Aufteilung sich häufig nicht einigen können und ihren Kuchen dadurch verlieren.



„Wenn in diesem Experiment jedoch mehrere Personen als Verhandlungspartner zur Verfügung stehen, sodass untereinander Wettbewerb entsteht, dann scheitern die Verhandlungen erheblich seltener“, erklärt Erlei. Die Einigungen gingen dann allerdings auf Kosten der Gerechtigkeit: Unter Wettbewerbsbedingungen seien die Teilnehmer bereit, auch Angebote anzunehmen, bei denen der Anbieter den weitaus größeren Teil des Kuchens behält. „Der Königsweg, sowohl wirtschaftlich effiziente, als auch gerechte Lösungen zu finden,“ sagt der Wirtschaftswissenschaftler, „besteht darin, die Anfangsbedingungen der Verhandlungen so zu verändern, dass alle Überschüsse fair aufgeteilt werden können“.



Freundschaften gegen unsoziales Verhalten



Die andere Art von Konflikten, zu denen Erlei im Goslarer Rathaus Stellung nahm, sind so genannte Anreizkonflikte. Sie zeigten sich zum Beispiel im Falle der Umweltverschmutzung: Einzelne Personen würden aus ihrer Sicht wirtschaftlich rational handeln, wenn sie die hohen Kosten der Spezialentsorgung ihres Sondermülls sparten und ihn statt dessen normal und billig entsorgten. Gesamtgesellschaftlich entstünde durch dieses Verhalten jedoch ein immenser wirtschaftlicher Schaden, da viele ihren Müll nicht vorschriftsmäßig wegschafften und die Gesellschaft für die Folgen aufkommen müsse.



Wie ökonomische Laborexperimente illustrieren, ist es für die die Umweltsünder vorrangig von Bedeutung, dass die anderen ihren Sondermüll korrekt entsorgen. Wie kann nun das ?Trittbrettfahren' des Einzelnen vermieden werden? Erlei führte aus: Auch dieses Problem kann durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen gelöst werden: Zum einen ?verteuern' gezielte Gesetze, beispielsweise eine Umweltsteuer, die gemeinschaftlich unerwünschten Verhaltensweisen, sodass der Umweltsünder in Zukunft nicht mehr umweltschädlich handelt.



Zum anderen führen langfristige Beziehungen, wie etwa Freundschaften oder Verwandtschaft dazu, diese Anreizkonflikte in Kleingruppen zu überwinden. In einem Haushalt beispielsweise bilden Aufräumen und Putzen das ?Umweltproblem'. Auch hier gibt es grundsätzlich einen Anreiz zum Trittbrettfahren. Doch: „Wer versucht, im Familienkontext auf Kosten der anderen zu leben, wird schnell sanktioniert, sei es durch Sozialstress, oder sei es durch Verweigerung der Beiträge der anderen Familienmitglieder,“ stellte Erlei fest. „In überschaubaren Gruppen besteht die Möglichkeit, schnell und wirksam zu ?bestrafen'. Das trägt dazu bei, das Trittbrettfahrerverhalten auch für an sich reine Egoisten äußerst unattraktiv werden zu lassen.“



Wissenschaft im Rathaus



„Wissenschaft im Rathaus“ ist eine Vortragsreihe, die zum Ziel hat, „die Sichtweise zweier Fachleute auf eine interessante Frage mit den Erfahrungen der Harzer Bürger zusammenzubringen“, wie der Initiator der Reihe, Jochen Brinkmann von der Technische Universität (TU) Clausthal, erläutert. Nach den ersten beiden Veranstaltungen in Osterode im Jahr 2004 fanden zwei Clausthaler Wissenschaftler nun zum ersten Mal vor einem Goslarer Publikum Gehör. Im Mai 2006 folgt ein Vortrag zum Thema „Technischer Fortschritt oder Qualität von Institutionen - was erhält und befördert den Wohlstand eines Landes?“ im Rathaus Osterode.



Kooperation der Wissenschaften?



Im Publikum entstand nach den Vorträgen unter anderem die Frage, ob nicht auch wissenschaftliche Disziplinen eng zusammenarbeiten könnten. Das sei nicht einfach zu bewältigen, wie schon die Beispiele aus der Wirtschaft im Vergleich mit der chemischen Kommunikation von Tieren und Pflanzen gezeigt hätten, so die Antwort der Vortragenden. Zu unterschiedlich sei allein schon die Sprache in verschiedenen Wissenschaften. Dort wo interdisziplinär zusammengearbeitet werde, seien zumindest die Fragestellungen enger verwoben als bei den heutigen zwei Vorträgen. Trotzdem lohne sich die Investition, die Sprache der jeweils anderen Fachdisziplinen verstehen zu wollen, wie es etwa im Fall des geplanten Energieforschungszentrums der TU Clausthal in Goslar der Fall sein wird. Dort werden Wissenschaftler mehrerer Disziplinen gemeinsam an Fragen der Energieforschung arbeiten und auf diesem Weg umfassende und praxisnahe Antworten finden.



Können Menschen nun etwas von der tierisch-pflanzlichen Kommunikation lernen? Abgesehen von einer Antwort blieb der deutliche Eindruck zurück: Menschliche Verständigung scheint deutlich komplizierter zu sein, als die Kommunikation zwischen Pflanzen und einfachem tierischen Leben.