Bergbau am Rammelsberg 300 Jahre älter als angenommen

Interdisziplinäres Forschungsprojekt mit Beteiligung der TU Clausthal fördert „montanhistorische Sensation“ zu Tage: ältester, heute noch zugänglicher Stollen eines mittelalterlichen Bergwerks entdeckt.

Die Bergbaugeschichte des Harzes muss neu geschrieben werden: Die bergbaulichen Aktivitäten am Erzbergwerk Rammelsberg reichen etwa 300 Jahre weiter zurück als wissenschaftlich bislang angenommen. Diese und weitere spannende Forschungsergebnisse haben ein Forscherteam, an dem auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Clausthal beteiligt sind, bei einem Pressetermin am Weltkulturerbe Rammelsberg am 3. Juni 2021 bekannt gegeben. Anlass war der Abschluss des Vorhabens „Altbergbau 3D. Ein interdisziplinäres Projekt zur Erforschung des montanhistorischen Erbes im Harz“.

Stollen, den seit Jahrhunderten niemand betreten hatte

Die montanhistorische Sensation ist ein Zufallsfund des Projekts, wie Montanarchäologin Dr. Katharina Malek und ihr Kollege Georg Drechsler vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege bei ihrer Präsentation berichteten. Bei ihrer Arbeit ging es eigentlich um die Suche nach Erz, das in weiteren Untersuchungen beforscht werden sollte. Kurz vor Abschluss des Projektes entdeckten sie, dass ein als abgeschlossen geltender Schacht tatsächlich zugänglich war. „Wir wurden nervös, weil der Streckenlauf unmittelbar deutlich machte, dass es sich um einen wirklich alten Bereich handeln musste, den über dies seit Jahrhunderten niemand betreten hatte“, so Malek. Es waren jedoch nicht nur Form und Aussehen der Strecke, die bei der Altersbestimmung halfen. Drechsler entdeckte plötzlich einen Fund aus Leder: „Die Situation unter Tage erinnerte uns an Arbeitsplätze, die gerade erst verlassen worden waren. Einfach achtlos ein Stück Leder in einer Nische abgelegt.“

Mithilfe des Funds konnte der Bereich in das 9./10. Jahrhundert datiert werden. Damit ist es gelungen, den ältesten direkten archäologischen Nachweis für den Bergbau im Rammelsberg zu erbringen. Mit anderen Worten: Es ist der älteste heute noch zugängliche Grubenbereich eines mittelalterlichen Bergwerkes in Deutschland. Für den Rammelsberg hat dies weitreichende Folgen. Der bekannte Rathstiefste Stollen, der bis jetzt nur anhand schriftlicher Quellen ins 13. Jahrhundert datiert werden konnte, galt bereits vorher als einer der ältesten noch zugänglichen Wasserlösungsstollen in Europa. Das entdeckte Streckensystem wurde vom Rathstiefsten Stollen über einen Querschlag aus aufgefahren. Das bedeutet, dass der Rathstiefste Stollen älter sein muss als bisher wissenschaftlich vermutet. Zugleich gewährt der neu entdeckte Bereich Einblicke in die Arbeitsabläufe der alten Bergleute. Sie offenbaren bestimmte Konventionen beim Anlegen von Strecken auf der Suche nach Erz.

Forschende der TU Clausthal widmen sich 3D-Modellen

Professor Wolfgang Busch aus der Arbeitsgruppe Markscheiderische Geoinformation des Institute of Geo-Engineering der TU Clausthal, Gerhard Lenz (Geschäftsführer Weltkulturerbe Rammelsberg und Direktor Stiftung UNESCO-Welterbe im Harz) und Dr. Henning Haßmann (Landesarchäologe, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege) hatten zuvor in das Projekt eingeführt und Zusammenhänge dargestellt. Lenz brachte die Relevanz der neuen Erkenntnisse auf den Punkt: „Pünktlich zum UNESCO-Welterbetag 2021 können wir der Welt mitteilen, dass unser gemeinsames Erbe am Rammelsberg als Zeitspeicher noch reicher ist als bislang angenommen. Gerne werden wir also die Geschichtsbücher dieses historischen Ortes mit Abschluss des Projekts neu schreiben.“

Auch die weiteren Bereiche des Forschungsprojektes förderten herausragende Erkenntnisse zutage. Dr. Tanja Schäfer und Wilhelm Hannemann von der TU Clausthal widmeten sich insbesondere 3D-Modellen. Die Grubenbaue des Rammelsberges wurden mit moderner Technik in ihrem jetzigen Zustand virtuell dokumentiert und damit jederzeit befahrbar gemacht. Für die 3D-Modellierung wurden alleine rund 50.000 Fotoaufnahmen und über 1,5 Stunden Videomaterial, aus dem Einzelbilder erzeugt wurden, verwendet. Die filigranen historischen Modellbauten traditioneller Bergwerkstechnik bekamen durch Drehen und Wenden am Computer eine neue, sogar erweiterte Form der Erfassbarkeit verliehen. Hierfür wurden unterschiedliche Methoden der dreidimensionalen Erfassung wie das Structure-from-Motion-Verfahren und das Laserscanning miteinander kombiniert, um für jedes einzelne Modell die optimale Aufnahme zu gewährleisten.

Kehrräder früher als gedacht im Harzer Bergbau im Einsatz

Dr. Astrid Schmidt-Händel und Dr. Hans-Georg Dettmer – beide vom Weltkulturerbe Rammelsberg – konnten anhand historischer Dokumente (mittelalterliche Urkunden, Briefe und Rechnungen) zeigen, dass der Einsatz verschiedener technischer Maschinen am Rammelsberg bereits deutlich früher begann als bislang angenommen. Beispielhaft nannten sie Kehrräder, die schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Bergwerk in Betrieb waren und nicht erst im 16. Jahrhundert. Sie dienten dazu, eindringendes Wasser aus den tiefen Grubenbereichen nach oben zu heben. Ebenso ist beim Herzberger Teich, der mit seinem Wasser für den Antrieb der untertägigen Wasserräder sorgte, davon auszugehen, dass er weit älter ist, als das bisher angegebene Erbauungsjahr 1561.

Das Forschungsvorhaben „Altbergbau 3D. Ein interdisziplinäres Projekt zur Erforschung des montanhistorischen Erbes im Harz“ wurde von der Arbeitsstelle Montanarchäologie des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, dem Weltkulturerbe Rammelsberg und der Arbeitsgruppe Markscheiderische Geoinformation des Institute of Geo-Engineering der Technischen Universität Clausthal durchgeführt. Weitere Partner waren die Stiftung UNESCO-Welterbe im Harz sowie die Bergbau Goslar GmbH. Das seit März 2018 laufende Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit annähernd einer halben Million Euro vollfinanziert. Es endete am 31. Mai 2021.

Wie das Forscherteam betont, konnten alle Ergebnisse erst aus dem Zusammenspiel der drei Disziplinen Photogrammetrie mit 3D-Modellierung, Geschichtswissenschaften und Montanarchäologie entstehen. Im Kern wurden mit dem Projekt zwei Schwerpunkte verfolgt: Zum einen wurden im Rammelsberg untertägige Bereiche dreidimensional erfasst sowie historisch und montanarchäologisch umfassend erforscht. Zum anderen wurden Bergbaumodelle aus dem 19. Jahrhundert in der Sammlung des Oberharzer Bergwerksmuseum in Clausthal-Zellerfeld digitalisiert, animiert und in ihren historischen Kontext gestellt. Im Ergebnis ist ein bis dato einmaliger digitaler und in der Tiefe detaillierter Datenbestand entstanden, der weltweit für wissenschaftliche Vergleiche mit bergbauhistorischen Objekten anderer Regionen und Forschungsschwerpunkte geeignet ist. Die erfassten Daten können aber auch im Museum zum Beispiel für virtuelle Einfahrten genutzt werden genauso wie auch in der universitären Lehre. (gemeinsame Pressemitteilung der Projektpartner)

Weitere Informationen:

Video zum Projekt

Projekthomepage

Teilprojekt TU Clausthal

 

Eine Person hält eine Kamera in einem Tunnel

Forschende der TU Clausthal widmeten sich im Rammelsberg den 3D-Aufnahmen. Im Zuge des interdisziplinären Projekts entdeckten Katharina Malek und Georg Drechsler vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege Prospektionsstrecken aus dem 9./10. Jahrhundert (siehe Bilder unten). Bei der Präsentation der Ergebnisse am 3. Juni waren Fernsehteams des NDR und von Sat.1 dabei. Fotos: Schröpfer, Hannemann, Ernst