Nanokristalle lassen Vulkane explodieren

Geoforscher Dr. Di Genova, der als Post-Doc am Clausthaler Institut für Nichtmetallische Werkstoffe tätig war, entdeckt die Ursachen plötzlicher Eruptionen. Die Zeitschrift „Science Advances“ zeigt die Ergebnisse.

Winzige Kristalle, zehntausend Mal dünner als ein menschliches Haar, können explosionsartige Vulkanausbrüche verursachen. Entdeckt hat diesen überraschenden Zusammenhang jetzt ein deutsch-britisches Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Danilo Di Genova, der diese Arbeit insbesondere als Post-Doc an der TU Clausthal in der Arbeitsgruppe von Professor Joachim Deubener vorangetrieben hat und heute am Bayerischen Geoinstitut der Universität Bayreuth tätig ist. Die Kristalle erhöhen die Zähflüssigkeit des unterirdischen Magmas. Infolgedessen kommt es zu einem Stau aufsteigender Gase. Der kontinuierlich steigende Druck entlädt sich schließlich in massiven Eruptionen. In der Zeitschrift „Science Advances“ stellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, darunter Professor Deubener, die Ergebnisse ihrer nanogeowissenschaftlichen Forschung vor.

„Für die Geoforschung war es immer ein Rätsel, was den plötzlichen und gewaltsamen Ausbruch scheinbar friedlicher Vulkane veranlasst. Mit nanogeowissenschaftlichen Forschungsarbeiten sind wir jetzt einer Erklärung auf die Spur gekommen. Sehr kleine Kristallkörnchen mit hohen Anteilen von Eisen, Silizium und Aluminium stehen am Anfang einer Verkettung von Ursachen und Wirkungen, die für die Bevölkerung im Umkreis eines Vulkans mit einer Katastrophe enden kann. Der bisher stärkste Vulkanausbruch in der Menschheitsgeschichte war 1815 der Ausbruch des Mount Tambora in Indonesien“, sagt Dr. Di Genova. Bei der jetzt veröffentlichten Studie hat er, außer mit der TU Clausthal, etwa auch mit Forschenden an der University of Bristol, zwei europäischen Synchrotronanlagen und der Universität Göttingen eng zusammengearbeitet.

Für das menschliche Auge sind die Nanolite unsichtbar

Wegen ihres Durchmessers von wenigen Nanometern werden die Kristalle auch als Nanolite bezeichnet. Mit spektroskopischen und elektronenmikroskopischen Verfahren haben die Forschenden Spuren dieser für das Auge unsichtbaren Teilchen in der Asche ausgebrochener Vulkane nachgewiesen. Aufgrund von Untersuchungen konnte sie diese Kristalle beschreiben und zeigen, wie diese Kristalle die Eigenschaften von vulkanischem Magma beeinflussen. Die Untersuchungen konzentrierten sich auf Magma, das einen geringen Anteil von Siliziumoxid besitzt und nach einem Vulkanausbruch an der Erdoberfläche zu Basalt erkaltet. Siliziumarmes Magma ist für seine geringe Viskosität bekannt: Es bildet eine dünnflüssige Lava, die schnell und leicht dahinströmt. Anders verhält es sich jedoch, wenn eine größere Anzahl von Nanoliten darin enthalten ist. Dadurch wird das Magma zähflüssig – und weit weniger durchlässig für Gase, die aus dem Erdinneren aufsteigen. Statt kontinuierlich aus dem Vulkankegel zu entweichen, bleiben die Gase in den Tiefen des Vulkans im heißen Magma stecken. Infolgedessen gerät das Magma immer stärker unter Druck, bis es schließlich explosionsartig aus dem Vulkan herausgeschleudert wird.

„Ständige leichte Rauchfahnen über einem Vulkankegel müssen nicht unbedingt als Anzeichen eines bevorstehenden gefährlichen Ausbruchs gedeutet werden. Umgekehrt aber kann die Inaktivität scheinbar friedlicher Vulkane trügen. Beispielsweise lassen Gesteinsanalysen, schriftliche Quellen und archäologische Funde darauf schließen, dass die Menschen in der Umgebung des Vesuv im Jahr 79 v. Chr. von einem äußerst heftigen Ausbruch des Vulkans überrascht wurden. Zahlreiche Todesopfer und schwere Gebäudeschäden waren die Folge“, sagt Di Genova. In seinen weiteren Forschungsarbeiten will der Wissenschaftler die geochemischen Prozesse, die unerwartet zu derart heftigen Ausbrüchen führen, mit Hilfe von Techniken der Hochdruck-Forschung und mit Computersimulationen modellieren. Das Ziel ist es, diese Prozesse besser zu verstehen und damit auch die Risiken für die Bevölkerung im Umkreis von Vulkanen reduzieren zu können.

TU Clausthal plant Forschungsprojekt mit Bayerischem Geoinstitut

„Die Nanolite-Forschung ist auch für technische Prozesse der Glaskeramikherstellung enorm wichtig“, ergänzt Professor Deubener. So zeigen aktuelle Forschungsergebnisse, dass nanoskalige Kristalle die Viskosität dieser Spezialgläser bereits im Frühstadium der Keramisierung verändern. Diese Zusammenhänge besser verstehen zu können, ist Ziel eines interdisziplinären Forschungsprojekts, das im nächsten Jahr zwischen der TU Clausthal und dem Bayerischen Geoinstitut beginnen soll. (Diese Pressemitteilung ist mit Unterstützung der Universität Bayreuth entstanden)

 

Veröffentlichung:
Danilo Di Genova et al.: In situ observation of nanolite growth in volcanic melt: A driving force for explosive eruptions. Science Advances (2020), DOI: https://dx.doi.org/10.1126/sciadv.abb0413

Wissenschaftlicher Kontakt:
Professor Joachim Deubener
Institut für Nichtmetallische Werkstoffe
Technische Universität Clausthal
E-Mail: joachim.deubener@tu-clausthal.de

Porträt einer Person neben einem Berg

Dr. Danilo Di Genova (Foto), Erstautor des Science-Artikels, hat sich während seiner Zeit an der TU Clausthal in der Arbeitsgruppe von Professor Joachim Deubener mit den Ursachen von Vulkanausbrüchen (im Bild der Vesuv) beschäftigt. Fotos: INW und Reichhart Foto – stock.adobe.com